Ernährung und MS: Im Gespräch mit Dr. Gabriele Leitner (Teil 1)

Mag. Dr. Gabriele Leitner ist Ernährungswissenschaftlerin und Diätologin, früher im klinischen Bereich und mittlerweile rund zehn Jahre an der FH St. Pölten als Dozentin tätig. Hier unterrichtet sie Rheumatologie, Neurologie, Allergologie und Ernährungslehre. Nebenbei arbeitet Frau Dr. Leitner freiberuflich in einer Praxis in Wien und steht der MS Gesellschaft Wien einen Nachmittag pro Monat als Ernährungsberaterin zur Verfügung.
Im 1. Teil unseres Interviews hat uns Frau Dr. Leitner erklärt, welche Rolle die richtige Ernährungsweise für Menschen mit Multipler Sklerose spielt, worauf Betroffene besonders achten sollten und welche Lebensmittel sich für die sogenannte „anti-entzündliche Kost“ besonders gut eignen.
1. Wie groß ist die Rolle der Ernährung in Bezug auf die Erkrankung Multiple Sklerose?
Allgemein ist eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung für Betroffene von MS ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Die anti-entzündliche Ernährung unterscheidet sich nicht wesentlich von einer normalen, ausgewogenen Ernährung. Eine spezielle MS-Diät gibt es nicht. Folglich ist es wichtig, allgemein auf gesunde Ernährung zu achten – mit einigen Modifikationen, die man als MS-Betroffener oder Betroffene berücksichtigen sollte.
Eine Ernährungsumstellung in Form einer anti-entzündlichen Kost verstärkt die positiven Effekte einer allgemein gesunden Ernährung, da diese Ernährungsform starken Einfluss auf das Entzündungsgeschehen im Körper nimmt. Das Wohlbefinden steigt, die Lebensqualität wird verbessert und der/die Betroffene kann persönlich etwas zu einer erfolgreichen Therapie beitragen und damit ein Stück Eigenverantwortung übernehmen.
2. Worauf sollten Menschen mit MS bei ihrer Ernährung achten?
Es gibt für MS Betroffene grundsätzlich keine anderen Regeln als für jeden anderen gesunden Menschen. Grundsätzlich sind drei Mahlzeiten pro Tag empfehlenswert. Für alle, die eher kleinere Mahlzeiten bevorzugen, sind auch fünf Mahlzeiten täglich durchaus gut möglich. Das hängt auch mit den Rahmenbedingungen und dem Tagesablauf zusammen. Bei bestehendem Übergewicht, sollte hingegen das 3-Mahlzeiten-Prinzip bevorzugt werden.
Der Speiseplan sollte allgemein möglichst abwechslungsreich sein und die Vielfalt der Lebensmittel unbedingt genutzt werden. Sehr wichtig ist es, täglich Gemüse und Obst und essen. Hier gilt die Regel „5 Portionen pro Tag“ – dabei entspricht eine Portion einer Handvoll. Vollkornprodukte in Form von Getreide und Brot sind den Weißmehlprodukten vorzuziehen, da sie uns wesentlich mehr wertvolle Inhaltsstoffe, wie Vitamine und Spurenelemente liefern. Was hierbei besonders für MS-Betroffene wichtig ist: Vollkornprodukte regen die Verdauung an und sorgen für eine gesunde Darmflora.
Die richtige Wahl der Fette ist ein weiterer wichtiger Punkt: Verwenden Sie pflanzliche Öle für’s Kochen und zum Zubereiten von Salaten. Diese sind vor allem aufgrund des hohen Anteils an Omega-3-Fettsäuren, die im Körper dazu beitragen, entzündungshemmende Botenstoffe zu bilden, empfehlenswert. Hierzu zählen zum Beispiel Rapsöl, Leinöl, Hanföl, Sojaöl, Nussöle, etc.
Sehr große Bedeutung in der anti-entzündlichen Ernährung hat auch Fisch. Er sollte zwei bis drei Mal pro Woche auf den Speiseplan. Dabei ist es im Wesentlichen egal, ob es sich um Thunfisch aus der Dose oder um frischen Fisch aus unseren Gewässern handelt. Wichtig in der anti-entzündlichen Ernährung ist es, Fisch gegenüber Fleisch den Vorzug zu geben. Dabei muss man beachten, dass Meeresfische im Vergleich zu Süßwasserfischen einen höheren Anteil an Omega-3-Fettsäuren aufweisen. Fisch enthält außerdem wertvolles Eiweiß und ist folglich insgesamt ein sehr empfehlenswertes Lebensmittel. Geht es um die Zubereitung, ist es in Bezug auf die MS nicht so relevant, ob es ein gebratener oder gebackener Fisch ist. Die Voraussetzung ist, dass das richtige Fett verwendet wird (z. B. Rapsöl). Wenn eine Gewichtsproblematik besteht, würde ich den gebackenen Fisch aufgrund des hohen Energieanteils, zurückzuführen auf Fett, nicht empfehlen.
3. Was gilt es für MS-Betroffene bei der Flüssigkeitszufuhr zu beachten?
Es ist wichtig, immer ausreichend zu trinken. Ein Thema, das besonders in Bezug auf MS unbedingt angesprochen werden muss. Nicht wenige Betroffene reduzieren die Flüssigkeitszufuhr, weil sie Probleme mit der Blase haben und dadurch häufiger auf die Toilette gehen müssen. Eineinhalb bis zwei Liter pro Tag sollten aber auf jeden Fall getrunken werden. Dafür unser gutes Trinkwasser nutzen oder auf ungezuckerte Getränke (z. B. Tees, Kräutertees oder Früchtetees) setzen. Wenn das langweilig wird, kann man auch Fruchtsäfte 1:1 oder 1:2 mit Wasser verdünnen. Fruchtsäfte sollten aber bitte nicht pur als Durstlöscher genutzt werden, da sie relativ hohe Mengen an Zucker enthalten.
4. Wie sieht es mit dem Alkoholkonsum aus?
Ganz verboten ist Alkohol in der anti-entzündlichen Ernährung nicht, trotzdem ist sorgsam damit umzugehen. Ein Glas Wein oder Bier zum Essen ist in Ordnung. Übermäßiger Konsum ist bei gesunden Menschen nicht anzuraten und bei MS Patienten erst recht nicht. Alkoholische Getränke wie beispielsweise Bier oder Spritzwein als Durstlöscher zu verwenden ist nicht der richtige Weg.
5. Welche Lebensmittel sollten Menschen mit MS besonders oft in ihren Speiseplan integrieren?
Auf diese Liste gehören auf jeden Fall Fisch, gute pflanzliche Öle sowie Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, Linsen, Bohnen und Soja. Hülsenfrüchte sind hochwertige Eiweißträger, die eine sehr gute Alternative zu Fleisch darstellen können. Außerdem Obst und Gemüse, Nüsse, Beerenfrüchte sowie Samen und Sprossen. Hinsichtlich Gewürzen ist z. B. Ingwer ein guter Tipp, da er antibakteriell und entzündungshemmend wirkt und das Immunsystem stärkt. Bei Obst und Gemüse sollte man auf die Farben achten: So sind gelbe, orange und rote Lebensmittel oft reich an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen, die sich positiv auf das Entzündungsgeschehen auswirken. Auch Regionalität und Saisonalität sind dabei zu beachten: Im Winter sind z. B. Kohl und Sauerkraut eine tolle Vitamin C-Quelle, im Sommer eher Blattsalate, Paprika, Radieschen, Gurken, Tomaten, Beeren und frisches Obst.
Auch Käse und Milchprodukte sollten täglich am Speiseplan stehen, wobei fettarme Produkte zu bevorzugen sind, da sich in tierischen Produkten die sogenannte „Arachidonsäure“ versteckt. Arachidonsäure, die vor allem in Produkten wie Fleisch, Wurst und Eiern enthalten ist, wirkt inflammatorisch, also entzündungsfördernd. Das heißt, das Entzündungsgeschehen im Körper wird durch diese Fettsäure angeregt oder verstärkt und mehr Entzündungsbotenstoffe werden gebildet.
6. Stichwort „inflammatorisch“: Welche Lebensmittel sollten MS-Betroffene prinzipiell eher meiden?
Alle tierischen Produkte sollten mit Vorsicht genossen werden –- im Speziellen, wie bereits erwähnt, Fleisch, Wurst und Eier. Diese Lebensmittel sollte man auf jeden Fall auf zwei bis drei Mal pro Woche reduzieren. Es stimmt z. B. auch nicht, dass Huhn oder Pute so viel besser sind als Schwein oder Rind. Im Prinzip ist es egal, welches Fleisch man isst, Hauptsache es ist ein mageres Stück, um die Aufnahme von Arachidonsäure einzuschränken.
Bleiben Sie dran! Im 2. Teil unseres Interviews erläutert Dr. Leitner unter anderem, wie gesunde Ernährung leichter gelingen kann, was es mit Fasten-Trends auf sich hat und mit welchen Fragen Betroffene in ihre Beratungseinheiten kommen.
M-AT-00000573 | Titelbild: © Stark mit MS | Quelle Portrait: FH St.Pölten