Wie so oft machen wir uns meist keine Gedanken über komplexe Vorgänge unseres Körpers, solange alles wie gewohnt funktioniert. Das gilt auch für das Thema Kognition. Lässt einen das eigene Gedächtnis aber zeitweise im Stich, ist man verständlicherweise im ersten Moment verunsichert. In diesem Artikel erfahren Sie mehr über Kognition: Klinische Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Tesar-Pelz (Neurologische Abteilung der Uniklinik St. Pölten) informiert über den Ablauf der Untersuchungen und wie gezieltes Training und Therapie Besserung bewirken können.
Häufigkeit kognitiver Beeinträchtigungen bei MS
Die Literatur beschreibt, dass 50 – 65 % der MS-Betroffenen im Laufe der Zeit auch mit kognitiven Beeinträchtigungen konfrontiert werden. Dabei können diese Beeinträchtigungen von leicht über mittel bis hin zu schwer gehen.
Dennoch ist das ein relativ hoher Prozentsatz, der davon betroffen sein kann, so Klinische Psychologin Dr. Tesar-Pelz. „Und das zum Teil auch schon in einer frühen Phase der Multiplen Sklerose. An unserer Klinik läuft gerade eine Studie, in der untersucht wird, ob es bereits in der frühen Phase der Diagnosestellung schon kognitive Beeinträchtigungen gibt. Denn laut Literatur, und das zeigen auch unsere Erfahrungen, können sich bereits sehr früh Gedächtniseinbußen, Aufmerksamkeitsprobleme, Schwierigkeiten in der Planung von Handlungen oder auch im Reaktionsvermögen und in der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit bemerkbar machen“ schildert die Expertin. Positiv betrachtet bedeutet der oben genannte Prozentsatz aber auch, dass bei etwa der Hälfte aller Betroffenen keine kognitiven Veränderungen auftreten.
Was Kognition ist
Doch was genau versteht man eigentlich unter Kognition? Der Begriff „Kognition“ (lateinisch cognitio für „Erkenntnis“) ist ein Sammelbegriff für Prozesse, die sich auf die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen beziehen. Dazu zählen u. a. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache, Denken und Problemlösen sowie Intelligenz.
Bei diesen kognitiven Prozessen kommunizieren Millionen von Nervenzellen in verschiedenen Gehirnbereichen miteinander. So werden Informationen verarbeitet, bewertet und in entsprechende Handlungsanweisungen umgesetzt. Der Austausch von Informationen erfolgt dabei über ein Netzwerk von Nervenbahnen.
Warum es bei MS zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen kann
Bei MS ist die Hülle der Nervenfasern aufgrund einer Entzündung geschädigt, wodurch die Kommunikation der Nervenzellen erschwert wird. Die Schädigungen können praktisch überall im Gehirn auftreten, entsprechend vielfältig sind die möglichen kognitiven Beeinträchtigungen.
Ablauf der Untersuchungen und Tests
Aus ihrem Alltag im Krankenhaus schildert Dr. Tesar-Pelz, dass im Zuge der MS-Diagnose, auch neuropsychologische Untersuchungen durchgeführt werden. Mit ganz speziellen Testverfahren, die auch für MS PatientInnen gut geeignet sind, kann so festgestellt werden, wo eventuell Schwächen bestehen und in welchen Bereichen weniger.
Durchführung des Trainings
Je nach Ergebnis wird den Betroffenen dann ein kognitives Training für zu Hause empfohlen. Die Expertin beruhigt: „Das heißt, Sie müssen nicht unbedingt regelmäßig zu einem Fachmann oder einer Fachfrau gehen, sondern es gibt inzwischen sehr gut aufgebaute Programme, die man selbständig zu Hause durchführen kann. Erfreulicherweise werden diese Angebote jährlich mehr, und die empfehlen wir dann auch.“ Dabei betont die Psychologin weiters, dass eine gewisse Regelmäßigkeit der Übung entscheidend für den Erfolg ist: „Wir raten zu etwa 30 bis 45 Minuten Übungszeit jeweils 3-4 mal pro Woche.“
Konstante Begleitung
Nach den Anfangstestungen bei neuer Diagnose, werden Kontrolltestungen vereinbart. In diesem Zusammenhang wird den Betroffenen auch empfohlen, einen Therapeuten aufzusuchen, um zusätzlich zum kognitiven Training zu Hause, Kompensationsmechanismen zu erlernen, erläutert die klinische Psychologin. Viele Patienten entwickeln, abhängig von Art und Stärke der Beeinträchtigungen, mit der Zeit ihre eigenen Kompensationsstrategien.
„Wir schaffen im Spital nicht alles, es gibt aber auch im niedergelassenen Bereich Klinische NeuropsychologInnen, die diese Untersuchung machen können und Behandlungen anbieten, wo diese Kompensationsmechanismen ein Teil davon sind. Die Therapie und das Training werden immer individuell auf den Patienten zugeschnitten, aufgrund der neuropsychologischen Diagnostik sowie den persönlichen Bedürfnissen und Wünschen der Betroffenen“ betont Dr. Tesar-Pelz.
Der abschließende Rat der Expertin
- Bitte haben Sie keine Scheu, Hilfe aufzusuchen, sobald Sie kognitive Beeinträchtigungen bei sich bemerken. Denn Unterstützung zu suchen und anzunehmen, zeugt von Stärke!
- Sprechen Sie mit Ihrer Neurologin oder Ihrem Neurologen: „Aus meiner Erfahrung als Klinische Psychologin ist die Kombination einer medikamentösen Therapie vom Arzt des Vertrauens, zusammen mit einer psychologischen Behandlung oder Psychotherapie, das Zielführendste.“
- Frühzeitiges kognitives Training und das Erlernen von Kompensationsmechanismen helfen Ihnen aktiv gegenzusteuern und bedeuten ein Mehr an Lebensqualität. Bitte nützen Sie diese Möglichkeit!
In Teil zwei des Artikels verrät Dr. Tesar-Pelz praktische Tipps für verschiedene kognitive Defizite, damit Sie Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen und den Alltag leichter meistern können.
Quellen:
M-AT-00002671| Titelbild: © pathdoc/Adobe Stock