Progression, besonders das stille Voranschreiten der Erkrankung (Hidden Progression) unabhängig von Schüben, begleitet MS-Betroffene. Wie der Verlauf durch klinische Funktionstests gut überwacht werden kann und woran man erkennt, ob man noch gut eingestellt ist, schildert Dr. Hauer, Neurologin des MS–Zentrums Melk im Interview.

Nutzen klinischer Funktionstests

Im ersten Teil des Artikels haben wir von Dr. Hauer erfahren, was Progression bedeutet, welche Formen unterschieden werden und was dabei zu beachten ist. Klinische Funktionstests sind nach Meinung der Expertin in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. 

„Danach weiß ich als Neurologin wieder genau, wie Konzentration und Aufmerksamkeit des Patienten aktuell sind und in welchem Teilbereich Einschränkungen bestehen. Und die kann der Patient dann ein bisschen bewusster zu Hause trainieren. Außerdem bekommen die Betroffenen durch die Tests quasi wieder einmal den Spiegel vorgehalten. 

Manche Betroffene fühlen Sie sich danach wieder sicherer und sind beruhigt, weil einige Bedenken ausgeräumt werden konnten. Gerade bei Personen, die vielleicht zu kritisch oder über empfindsam sind, kann das der Entstehung einer Angststörung entgegenwirken“, schildert die Fachärztin

Dabei relativiert sie jedoch: „Die komplette kognitive Testbatterie jährlich zu machen, ist recht aufwändig. Je nach Patienten-Typ kann das mitunter auch frustrierend wirken. Manchmal schicke ich Betroffene deshalb in etwas größeren Abständen zum test-psychologischen Befund.“

Ablauf der Testung

  • Psychologische Tests

Diese Tests können ambulant durchgeführt werden, erklärt Dr. Hauer. „Ich überweise mit dem Vermerk ‘Testung erbeten’ zu klinischen Psychologinnen, die einen Kassenvertrag haben, das heißt, das kostet den Patienten nichts. 

Als zuweisende Ärztin kann ich entweder verschiedene Testbatterien vereinbaren, die ich gerne hätte, oder der Psychologin bzw. dem Psychologen die Auswahl der Tests überlassen. Mir geht es zum Beispiel um Daueraufmerksamkeit, teilweise werden Kettenrechnungen gemacht und auch das verknüpfte Denken sowie das Arbeitsgedächtnis geprüft.“

Die Expertin schildert weiter: „Alle paar Jahre wird das überwacht und aufgezeichnet. Der Neurologe oder die Neurologin bekommt dann die Befunde. Da die personellen Ressourcen in den Kliniken meist sehr begrenzt sind, ist es oft der einfachere Weg, diese Testungen bei erfahrenen niedergelassenen PsychologInnen durchführen zu lassen, die dafür mehr Zeit haben.

  • Motorische Tests

Der motorische Bereich wird durch den Neurologen überprüft. Dr. Hauer erklärt im Interview, dass es zeitlich weder in Kliniken noch in den Ordinationen kaum machbar ist, mit jedem Patienten regelmäßig den 25-Foot-Walk-Test oder den 9-Hole-Peg-Test durchzuführen. Sie würde sich wünschen, dass das einmal jährlich gemacht wird. 

Die meisten Patienten kennen diese beiden motorischen Tests von Reha-Aufenthalten. Dabei wird immer ein Ausgangswert und ein Endwert gemacht, der für die NeurologInnen einsehbar ist.

Bin ich gut eingestellt?

Für Betroffene ist es natürlich wichtig zu wissen, ob ihre aktuelle Therapie noch optimal für sie passt. Doch kann man das selbst überhaupt feststellen? 

Dr. Hauer schildert aus ihrem Arbeitsalltag, dass die PatientInnen dabei sehr unterschiedlich sind. „Manche sind besonders therapietreu und hinterfragen die Therapie auch dann nicht, wenn sich ihr Zustand über einen längeren Zeitraum hinweg deutlich verschlechtert. Andere horchen teilweise zu sehr in den eigenen Körper hinein. Deshalb ist das ein wirklich schwieriges Thema, weil es sehr von der Persönlichkeit des Patienten abhängt. 

„Die Betroffenen merken also sehr wohl, ob sie gut eingestellt sind. Im Gespräch muss das aber meistens durch den Arzt objektiviert werden. Ich spreche meine Patienten deshalb gezielt darauf an und gehe die Punkte mit ihnen durch:

  • ‘Haben Sie das Gefühl, es sind neue Ausfälle dazugekommen?
  • Wie geht es kognitiv und ausdauermäßig? 
  • Wie schaffen Sie den Alltag?’ 

Manche sind dabei reflektierter und strenger mit sich, andere möchten ihre Eindrücke eher verdrängen. Das bringe ich gemeinsam mit den Betroffenen auf eine objektive Ebene. Aufgrund dieser Informationen und der Ergebnisse der Testung kann ich dann gut beurteilen, ob es ratsam ist, bei der medikamentösen Therapie etwas anzupassen und einer eventuellen Progression gegenzusteuern“, fasst die Expertin zusammen.

Mit welchen Tests Sie selbst Progression im Alltag frühzeitig erkennen und den behandelnden Arzt mit wertvollen Informationen unterstützen können, lesen Sie in Teil 3 dieser Artikel-Reihe.

Quellen: 

Trotz MS: Krankheitsverlauf auf dem Prüfstand 

Physio Deutschland: Befundung Mobilitätseinschränkungen bei Multiple Sklerose

M-AT-00002850| Titelbild: ©YURII MASLAK/Adobe Stock

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