Andrea Berauer KnörrerAndrea ist Yogalehrerin, Coach – und sie hat MS. In diesem Artikel schildert sie, wie Yoga bei MS das Wohlbefinden steigern kann und gibt praktische Tipps für den Alltag.

Ganz zufällig kam Andrea vor 12 Jahren zum Yoga. Inzwischen ist die MS-Betroffene selbst Yogalehrerin und gibt Kurse sowie Workshops. In Teil eins können Sie mehr über Andrea’s persönliche Geschichte nachlesen.

Für wen Yoga geeignet ist

Beim Yoga gibt es viele unterschiedliche Stile und Andrea ist davon überzeugt, dass es für jeden eine passende Form gibt. Sie selbst unterrichtet vor allem sanftes HATHA-Yoga, weil sie damit die besten Erfahrungen gemacht hat. Denn egal ob gestresste ManagerInnen oder MS-Betroffene mit Einschränkungen – diese Form ist für alle geeignet. Die Stellungen werden länger gehalten und es wird auch ein großer Fokus auf Atemübungen und Entspannungstechniken gelegt.

Manchmal bietet Andrea Workshops mit Fokus auf MS-Betroffene an, um neuen TeilnehmerInnen auch spezielle Variationen zu zeigen, die auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind. Danach können die meisten Betroffenen auch gut an den regulären Kursen teilnehmen. Natürlich ist immer die Frage, wie groß die jeweiligen Einschränkungen sind, aber diejenigen, die so fit sind, dass sie am Yoga teilnehmen können, brauchen nicht unbedingt einen speziellen MS-Kurs. Denn in den Kursen der sympathischen Yogalehrerin geht es nicht um kunstvolle „Verbrezelungen“.

Stress lass nach

„Wenn die Leute zu mir kommen und die Matte mit mir ausrollen, dann möchte ich jegliches Leistungsdenken jenseits der Matte lassen und ihnen die Möglichkeit geben, wirklich in die Entspannung einzutauchen und bei sich anzukommen,“ betont Andrea, worauf es ihr ankommt. Seien Sie also beim Yoga nicht zu streng mit sich selbst und versuchen Sie stattdessen, sich zu entspannen.

Wer Yoga ausprobiert, bemerkt oft schnell einen Effekt, weiß Andrea aus Erfahrung: „Die meisten spüren rasch die positive Wirkung der Stressreduktion. Wobei einige, egal ob MS-Betroffene oder nicht, sagen, dass es das Schwierigste ist, wirklich ganz ruhig zu werden.“

Um abzuschalten, empfiehlt Andrea, sich in der klassischen Pose Shavasana ganz ruhig auf dem Rücken zu legen und Entspannungsübungen wie Progressive Muskelentspannung oder einen Body-Scan durchzuführen. Danach sollte man ganz ruhig liegen, absolut nichts tun und sich nur entspannen. 

 

Bei der Progressiven Muskelentspannung werden alle Muskelgruppen nacheinander, durch gezieltes vorheriges Anspannen – von den Zehen über den ganzen Körper entlang bis zum Kopf, besonders gut entspannt.

Der Body-Scan ist eine Achtsamkeitsübung, bei der man den Körper gedanklich von Kopf bis Fuß in Ruhe abtastet und Entspannungs-Affirmationen wiederholt (z.B. „Ich entspanne meine Füße, meine Füße sind vollkommen entspannt“). Das verbessert die Beziehung zwischen Körper und Geist und hilft, Stress abzubauen. 

Eine genauere Anleitung zu den beiden Übungen finden Sie auch in Andrea´s Podcast.

Wieder bewusst spüren und entspannen

MS-Betroffene sagen mir oft: ‘da merke ich auf einmal meine Symptome’, eben weil sie nicht abgelenkt sind. Die Symptome bewusst wahrzunehmen, das ist manchmal irgendwie unangenehm. Ich bekräftige die Betroffenen darin zu denken: ‘Hey, es ist okay, dass sich da was zeigt’ und da hinein zu spüren. Man kann auch in den Dialog mit den Symptomen gehen und sagen ‘Warum zeigst du dich denn gerade jetzt so stark?’ Vielleicht wollen die Symptome oder unser Körper einfach öfter wahrgenommen werden und eine Ruhephase haben“, so Andrea. 

Die Gedanken kommen zur Ruhe

Nicht nur auf der körperlichen Ebene, sondern auch auf der geistig-emotionalen Ebene wirkt die Entspannung. Wenn man es nicht gewohnt ist, in die Stille zu gehen, wird das Gedankenkarussell zu Beginn manchmal erst recht laut. Mit der Zeit merkt man aber, wie man ruhiger wird und die Gedanken langsamer kreisen. Andrea vergleicht das gerne mit dem Training im Fitnessstudio: Einen muskulösen Bizeps bekommt man auch nicht, wenn man zwei, dreimal eine Hantel hebt, sondern die Kontinuität machts.“

Einfach mal durchatmen

Die MS ist ja die Krankheit der 1000 Gesichter und die Symptome können entsprechend  unterschiedlich sein. Aber da Yoga so viel mehr ist als „Verrenkungen und Handstände an tollen Sandstränden oder so“, ist für jeden etwas dabei. Besonders Entspannungsübungen haben immer einen Mehrwert, schildert Andrea und gibt uns zwei einfache Atemübungen für den Alltag mit (siehe unten).

Dazu braucht man nichts außer seinem Atem, erklärt die Yoga-Lehrerin. Man kann die Übung also überall zwischendurch machen. Für Andrea ist die „vollständige Yoga-Atmung“ eine der wertvollsten Übungen überhaupt, weil man damit rasch den Entspannungsmodus aktiviert. Am liebsten macht sie diese Übung in der Sonne.

Yoga online

Viele Yoga-Kurse werden heute auch online angeboten. Das kann gerade mit MS eine Erleichterung sein. Man erspart sich die Anfahrten und aufgezeichnete Kurse kann man ganz einfach nachholen, falls man sich am Tag des Kurses nicht so gut fühlt oder einfach keine Zeit hat. Auch Andrea ist Corona-bedingt dazu übergegangen, ihre Kurse online anzubieten.

Einfach ausprobieren

Generell empfiehlt Andrea MS-Betroffenen, Yoga einfach mal auszuprobieren, um herauszufinden, ob das für einen geeignet ist. Sie selbst bietet mittlerweile viele Workshops online an, teilweise sogar gratis. “Ich liebe es, dass ich durch dieses Medium so viele Menschen, auch länderübergreifend, auf einmal erreichen kann.“ Wer sich dafür interessiert, findet auf der Website www.yogacraft.de nähere Infos. Darunter auch den kostenlosen Podcast der Yoga-Lehrerin, mit einigen Folgen rund um MS sowie einigen kleinen Yoga-Einheiten und vereinzelten Übungen. Da kann man einfach hineinhören und herausfinden, ob einem Yoga liegt.

Wenn weniger mehr ist

Wer Yoga oder Meditations- und Entspannungsübungen in seinen Alltag integrieren will, der sollte sich keinen Druck damit machen, wie oft oder wie lange man üben sollte. Andrea ist überzeugt, wenn Sie sich nur eine Übung merken – beispielsweise die Atemübung – und diese in den nächsten Tagen zwischendurch machen, dann wird Ihnen auffallen, dass der Alltag sich schon etwas verändert. Manchmal gilt es auch, den Schweinehund zu überwinden. Darum macht man Yoga am besten so, wie es sich für einen selbst am leichtesten in den Alltag integrieren lässt, lautet Andrea’s pragmatischer Rat. 

Andrea’s Fazit:

„Zum Abschluss noch ein schönes Zitat des Yoga-Lehrers Swami Sivananda, in dessen Tradition ich meine Ausbildung gemacht habe: ‘Ein Gramm Praxis ist besser als eine Tonne Theorie’. Also besser einfach Matte ausrollen oder auf einem Sessel drei Minuten irgendeine Übung machen, als drei Stunden im Buch über Yoga lesen.“

Einfache Atemübungen für den Alltag

Die vollständige Yoga-Atmung

  1. Setzen oder stellen Sie sich aufrecht hin. Unterstützend kann man eine Hand auf den Bauch und die andere auf den Brustkorb legen. Wer mag, schließt die Augen, um in dem Moment nicht vom Außen abgelenkt zu werden, sondern ein bisschen mehr bei sich zu sein. 
  2. Atmen Sie zuerst bewusst in den Bauch hinein. Spüren Sie, wie sich der Bauch beim Einatmen nach außen dehnt und bei der Ausatmung wieder nach innen geht. 
  3. Beim nächsten Atemzug zieht man den Atem hinauf bis in die Rippenbögen. Sie weiten sich bei der Einatmung, bei der Ausatmung gehen sie wieder zurück. 
  4. Beim dritten Atemzug atmen Sie tief und vollständig bis in den Brustkorb ein und dann wieder vollständig aus. Der Brustkorb hebt und senkt sich dabei.

Wenn Sie das ein paarmal hintereinander machen, tritt ein sofortiger Effekt ein. Die Übung signalisiert dem parasympathischen Nervensystem, dass es jetzt entspannen darf. Andrea liebt es, diese Übung in der Sonne zu machen. 

 

Sitali / Sitkari 

Eine Atemübung zur Kühlung bei sommerlichen Temperaturen oder Hitzewallungen

  1. Rollen Sie dazu die Zunge quasi wie ein Rohr ein.
  2. Atmen Sie dann über die Zunge ein und mit geschlossenem Mund über die Nase wieder aus.

Das kühlt merklich. Wenn man sich dann noch visuell vorstellt, dass man kühle Luft einatmet und die kühle Luft in den Körper schickt, dann hat das einen wohltuenden Effekt.

Übrigens: Wenn Sie es nicht schaffen, die Zunge wie ein Rohr zu rollen, können Sie diese auch nach hinten klappen und die Luft beim Einatmen seitlich durch die Zunge strömen lassen.

M-AT-00002128 | Titelbild: © Thomas Plattner | Portrait Interviewpartnerin: © Frau Herz

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